Da ist zum einen der Ruß im Gesicht und zum anderen die Dramaturgie der Abläufe, die dem Spielplan folgt. Außerdem wäre da noch der Austragungsort des Geschehens: die Bühne und die Ankündigung der Show im Theaterplan. Es gibt also einen klassischen Anfangspunkt, an dem sich gewissermaßen der Vorhang hebt. Wir haben es beim Zentrum für Politische Schönheit demzufolge mit klassischen Elementen einer Inszenierung zu tun. Alles was stattfindet, findet als Aufführung statt. Thema des Stückes ist die Vorführung der Verhältnisse. Doch ganz gleich, was das ZPS anstellt, um sein Anliegen vorzutragen, sind die ersten, die sich empören, die Kunstkritiker/-innen. Die natürlich nie Kunstkritiker sind, sondern oftmals Kommentator/-innen aus der dritten Riege irgendeiner Lokalredaktion. Damit fängt es schon an. Man schickt zu einem Kunsthappening einen Lokalreporter, der normalerweise über Straßenumbenennungen berichtet. Und der Lokalreporter tut das, was er gelernt hat. Er sucht Kronzeugen, Gegenstimmen, er versucht herauszufinden, wo die Story ist. Gegenstand der Betrachtung ist am Anfang einer jeden Berichterstattung über die Aktionen des ZPS niemals das Geschehen, sondern die Mittel, mit denen das Geschehen abgebildet wurde.
Und genau das gehört zur Kunstaktion. Die Empörung ist Teil des Kunstwerks, das Entsetzen des einfachen Journalisten, dem das Genre »Politische Aktionskunst« skandalös erscheint, weil zu seiner Normalität gehört, dass er jeden Morgen aufschreibt, was er im Fernsehen sah, ist im Kunstwerk bereits einkalkuliert. Dieser Furor, die Schnappatmung gewordene Herummeinerei in Form von überhitzten Überschriften und Nichtexpertise ist genreimmanent. Denn politische Kunst ohne Rezeption, ohne das Zusammenspiel zwischen Staatsanwaltschaften, Parlament und Lokalredaktion, zwischen Öffentlichkeit und Künstler wäre ja bloß Malerei oder irgendetwas anderes, aber eben nicht politische Aktionskunst.
An solchen Textstellen unternehmen Autor/-innen den Versuch, in der Kunstgeschichte blätternd mit dem Zeigefinger bei den Performancekünstlern der Vergangenheit hängen zu bleiben, um damit zu sagen: Schaut her, die hatten es teilweise noch weiter getrieben. Dieser Reflex ist aber falsch. Es geht eben nicht darum, die Künstler/-innen gegen den Vorwurf der Übertreibung zu entlasten und Indizien zu finden, wer »etwas noch Schlimmeres« mit noch weiter reichenden Konsequenzen tat, sondern es geht darum, zu verstehen, dass politische Kunst Reaktion erzwingen will. Politische Kunst, wie sie das ZPS macht, bittet laut um Haltung. Das, was immer wieder danach aussieht, als würde in der Rezeption gewaltig etwas schief laufen, angefangen von Strafanzeigen bis hin zu den Forderungen, jene Theater, die die Kunst des ZPS »beherbergen«, müssten als Strafmaßnahme mit Kürzungen von Subventionen diszipliniert werden, sind Teil des Kunstwerks.
Es gibt kaum eine Aktion, bei der es nicht binnen weniger Tage zu einer Situation des Misstrauens zwischen Presse und Künstlern kommt. Dies ist übrigens bei allen Aktionen gleich. Die Aufregung beginnt immer in den Medien, die sich manchmal sogar als Anwälte der Beteiligten sehen. Als die Mauerkreuze am Bundestag vermeintlich abgeschraubt und an die Außengrenzen Europas gebracht wurden, war es im Wesentlichen eine Berliner Zeitung, die die Eltern von Mauertoten der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze aufspürte, um sie zu aufgebrachten Reaktionen aufzustacheln. Dass die Aktion sich nicht gegen die Eltern der Mauertoten der DDR richtete, sondern sich auf die Seite aller Eltern jeglicher Mauertoten auf dieser Welt stellte, vermochte die Zeitung, die eigene Kunstkritiker/-innen beschäftigt und bezahlt (zu diesen Aktionen aber nicht schickt), in dem heillosen Durcheinander, das sie selber stiftete, nicht mehr begreifen.
Trotzdem staunt man jedes Mal wieder aufs Neue, dass es funktioniert. Das ZPS hält sich bei jeder Aktion geradezu sklavisch an ihren Aktionsplan. Mehr noch, sie präsentiert der Öffentlichkeit in aller Transparenz die Beteiligten der Aktion–die mit dem Ruß im Gesicht–und bietet sogar die Hilfsverben zum Auf-die-Pauke-Hauen an, beispielsweise in Form des »ZPS-Eskalationsbeauftragten« als offiziellem Ansprechpartner.
So ist eigentlich fast jede Aktion ein Kräftemessen zwischen den einzelnen Medien und dem Wettkampf, wer als erster vor Ort die größte auszumachende Ungeheuerlichkeit aufdeckt. Dabei geht das ZPS teilweise derart offen mit ihren Mitteln um, dass man sich schon fast fragt, ob es nicht eigentlich hier und da um größtmöglichen Spott handelt. Etwa, wenn auf den Tigerkäfigen, die zur Aktion Flüchtlinge fressen die Kulisse für das Spektakel bildeten, das Messingschild des Ausleihzoos eben nicht verdeckt wurde. Vorne erklärt Philipp Ruch den zynischen Paragraphen, der es Syrern nicht erlaubt, für die Flucht in ein Flugzeug zu steigen, und an der Seite bitten ein paar Student/-innen um ein Mikro, um ihrem Ärger Luft zu machen und auf die lebensunwürdige Situation der Tiger aufmerksam zu machen. Der Groll richtet sich auch hier nicht gegen den Paragraphen oder den Zoo–der Eigentümer der Tiere steht ja vor ihrer Nase auf den besagten Schildern –, sondern gegen die Aktion.
So wie sich eigentlich jeglicher Groll und jegliche Klage nie gegen das richtet, worauf das ZPS aufmerksam machen will, sondern immer gegen das Künstlerkollektiv. Dabei ist die am häufigsten formulierte Kritik eine, die sich gegen die Mittel richtet. Doch Mittel sind, wie es der Name schon sagt, Brücken zur Sichtbarmachung von Unrecht. Und überall da, wo in einem künstlerischen Projekt Mittel verwendet werden, um Botschaften zu transportieren, ist es erschreckend, wie sehr der Diskurs im Rezensieren der Mittel steckenbleibt. Man richtet sein Augenmerk nicht auf die Gesetzeslage, die ja immer Grundlage der politischen Kunst der Berliner Künstler/-innen ist, sondern gegen ihre Ästhetik. Das Seltsame ist, dass die Mittel nicht als Inszenierung begriffen werden, sondern als etwas, dass »in echt etwas meint.«
Leitmission der politischen Aktionskunst: die Gesellschaft retten
Nämlich das Verfüttern von Menschen an Tiere. Oder den Aufruf, Diktatoren zu töten. Das ZPS schafft nicht Unrecht, sondern zeigt auf Unrecht. Diesen Gedankensprung vermisst man in der Rezeption. Es geht sogar soweit, dass in den Medien die Begutachtung der Aktion aufgeteilt wird in jenen Teil, der unberechtigte Mittel verwendet, und einen anderen Teil, in dem das Anliegen als durchaus berechtigt anerkannt wird.
Bislang hat noch keine Aktion eine Gesetzesänderung verursacht oder bleibende Spuren hinterlassen. Was beschwichtigend klingt, ist eigentlich eine Kapitulationserklärung an die Öffentlichkeit, an alle, die die Kunst rezipieren, sie aber nicht als Beitrag zur Friedensstiftung begreifen oder als Argumentationshilfe für das eigene Denken, sondern zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise wie in der Aktion Die Toten kommen, Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa sterben, in Kühlschränken oder Kadaverhaufen enden, aber letztendlich keine Zuständigkeit empfinden. Auch diese Einsicht soll über einen komplizierten didaktischen Umweg beim Rezipierenden landen und tut es doch nur vereinzelt. Dass in so einem Szenario das ZPS als Überbringer der Nachricht als pietätlos gilt und nicht der Umstand, dass namenlose Leichen, Menschen, in der sizilianischen Hitze verwesen und damit ihrer Identität und Menschenwürde über ihren Tod hinaus beraubt werden, zeigt, dass das ZPS als Gruppe mit ihrem Kunstbegriff ihrer Zeit und Gesellschaft voraus sind. Die wichtigen Fragen bleiben nicht gestellt. Die erforderlichen Urteile über den tatsächlichen Zustand eines Europa, das Humanität als Claim für sich selbst erfand, werden nicht gefällt.
Es hat den Anschein, als ob politische Kunst, wie Demokratieerziehung auch, einer Gesellschaft beigebracht werden muss. Erschreckend ist hierbei, dass das gerade für die Kunstkritiker/-innen gilt. Wenn sich ein Kritiker einer Zeitung von Weltformat, wie der Süddeutschen Zeitung, während einer »Pressekonferenz« zur Aktion Scholl 2017, in einem Theater wohlgemerkt, zu einer Beleidigung in Richtung Künstler hinreißen lässt (»Sie Granatenarschloch!«), dann bedeutet das, dass hier ein Analphabet in einer Buchstabensuppe zu ertrinken droht. Wenn schon das Theater nicht mehr als Theater, also als Ort einer Inszenierung, das Verhältnisse abbildet und nicht herausbildet–was ja doch ein bedeutender Unterschied ist –, wahrgenommen wird, dann sieht es für den Aufklärungsstandort Deutschland echt düster aus. Wenn aber ein Kunstkritiker die Kunst gegen ihre Denunziant/-innen nicht mehr verteidigt oder wenigstens erklärt und einordnet, dann bewegen wir uns niveaumäßig eigentlich schon in einer Gesellschaft, die in ihrem Kunstdiskurs (»Sie dürfen das nicht!«, »Das ist geschmacklos!«, »Wer bezahlt Sie?«) einer Diktatur mehr ähnelt, als einem Land, in dem eigentlich Kunstfreiheit herrscht. Eigentlich.
Das ZPS hat noch nie jemandem Schaden zugefügt. Nicht, dass es das nicht dürfte, aber es muss auch mal darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Schaden von einer anderen Adresse ausgeht. Nämlich von Seiten des Parlamentes. Das ist der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Aktion. Das ZPS macht darauf aufmerksam, welche Versprechen die Bundesrepublik auf ihren Gedenktagen dieser Gesellschaft macht (»Nie wieder!«, »... werden nie vergessen!«, »... soll uns eine immerwährende Mahnung sein!«), und pocht mit ihren Vorführungen auf die Einhaltung der Versprechen. Wenn die Medien sich allerdings in diesem Spannungsfeld auf die Seite der Politik stellen und nicht mehr als deren Wächter auf die Seite der Kunst, dann geht hier gerade etwas richtig schief.
Politische Kunst arbeitet nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Eine Gesetzmäßigkeit ist, wie oben erwähnt, die Inszenierung des Eklats. Der Eklat geschieht auf dem Boden der bestehenden Tabus in der Gesellschaft (Tierrechte missachten, Menschen zum Töten anstiften). Wenn das Auditorium diese Gesetzmäßigkeit nicht kennt und in dem Eklat mitspielt, also die Ingredienzien des Politspektakels wie bestellt liefert und spielplanmäßig beleidigt, entsetzt oder verärgert ist, macht sie sich damit zum Akteur des Geschehens und nicht mehr zum Beobachter und Berichterstatter, und das ist einfach nur noch schräg. Wenn die Kunstkritik, die ja ein Teil der Medien ist, die Politiker/-innen und die Verhältnisse in Schutz nimmt, fragt man sich, ob nicht wenigstens das Fernsehen seinen Auftrag ernst nehmen könnte und dazu das Kritikerquartett »Bilderstreit« wieder beleben müsste. Nicht zur Entlastung der Künstler/-innen und schon gar nicht als deren Anwälte, sondern um die Merkmale politischer Kunst zu dechiffrieren.
Zum Abschluss noch ein Detail am Rande: Bei den Kreuzen, die an die Außengrenzen Europas gebracht wurden, handelte es sich um Replika, die in den Werkstätten des Gorki Theaters in Berlin hergestellt wurden. Und bei dem Revival der Geschwister Scholl, die scheinbar angestachelt von der Aktion Scholl 2017 aus einem Istanbuler Hotelfenster zu Hunderten Flugblätter mit dem Aufruf zum Tyrannenmord heruntersegeln ließen, handelte es sich um einen ferngesteuerten Drucker. Na klar, will man rufen, was sonst!? Aber– und das ist die gute Nachricht, bei alledem–sollte noch irgendwer behaupten, das Theater sei tot und hätte keine Wirkung, so kann man an dieser Stelle sagen: schlagt die Zeitungen auf, und lest selbst: das Theater, das das ZPS veranstaltet, ist vital.
Aktionskunst braucht kein Museum: Die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit sprengen die Grenzen zwischen Kunst und Alltag. Mit der Macht der 5. Gewalt entblößen die Kunstaktionen das »Staatstheater« und bekämpfen die Unwirklichkeit unserer Taten.
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